Südschottland: Edinburgh, Loch Lomond, Glasgow

Nachdem wir morgens von der wenig liebevollen Frühstücksaufforderung geweckt und im 10-Minuten-Takt erinnert werden, dass jetzt wirklich die allerletzte Chance ist, Euro in Pfund zu wechseln, nehmen wir die letzte sichere Dusche. Runter von der Fähre erprobt sich Stefan ab der ersten Minute im Linksverkehr und meistert dies auch direkt mit links. Da wir wie immer die größeren Straßen meiden (wenn dies möglich ist, denn mit dem Kleinen können wir keine 10 Stunden am Stück mehr unterwegs sein), fahren wir auf kleinen idyllischen Landstraßen direkt an der Küste entlang Richtung Norden und geraten auf der Hälfte der geplanten Strecke in einen Stau. Soviel zum Thema: Wir versuchen die Fahrtzeit in Grenzen zu halten, aber damit begann gleich das erste Abenteuer und das erste Testen unseres treuen Gefährts. Nachdem wir das Stauende erreicht hatten und über die saftig grünen Hügel erkannten, dass der Stau lang ist und sich keinen Millimeter bewegt, suchten wir nach einer Alternativroute. Diese bestand darin komplett zurück zu fahren oder am Stau vorbei zu fahren (wohl gemerkt auf einer engen Landstraße mit gelegentlichem Gegenverkehr) und dann in Kürze rechts in eine noch engere Straße abzubiegen. Als dann auch noch ein Traktorfahrer umdrehte und laut rufend: „Road closed“ an uns vorbei brauste, wussten wir: Aussitzen können wir das Ganze nicht und entschieden uns, die unbekannte Route am Stau vorbei zu nehmen, wie auch einige andere vor uns. So hüpften wir von Lücke zu Lücke und schlängelten uns im Anschluss durch die Felder, frohen Mutes, dass wir eine super Entscheidung getroffen haben, bis wir schon die nächsten Rücklichter sahen, denn jetzt befanden wir uns auf einer Straße, auf der schlecht zwei Autos gleichzeitig entlang passen. Durch das hohe Aufkommen von Stauumfahrenden beider Seiten schoben wir uns Millimeter um Millimeter voran, nachdem die Entgegenkommenden sich dankenswerter Weise dazu entschieden hatten zu Warten. Für uns glücklich, fuhren wir hinter einem Müllsammelauto, dass etwas breiter als unseres war und wir somit einen guten Richtwert hatten. Aber auch dieses Vergnügen endete jäh bei der nächsten 45 Grad Kurve und einem weiteren Verstopfen der Straße. Wir entschieden uns, den ganzen Bereich noch etwas weitläufiger zu umfahren und fast bis zum Meer zu fahren. Auf der Karte erkannte ich, dass die Straße für eine kurze Strecke parallel zu einem Fluss verläuft, aber da dachten wir noch: Naja hier ist ja eine Straße eingezeichnet. Die letzten Meter zu besagter Stelle wurde die Straße immer enger und an ein Wenden wäre nicht mehr zu denken gewesen. Plötzlich standen wir tatsächlich ratlos vor einem Flusssteinbett über das fröhlich das Wasser hüpfte. Angespornt von Erinnerungen an die Mongolei dachte ich sofort: Klar, das packen wir, Stefan war da weniger optimistisch. Aber nachdem wir uns über einen kleinen Trampelpfad versichert hatten, dass die Straße danach auch weiter geht und zwei entgegen kommende Wanderer mit ihrem Hund das flache Wasser getestet und mit einem: „You should be fine here my friend“ ihren Segen gegeben haben, steuerten wir problemlos durch unser erstes Roadtrip-Abenteuer. So erreichten wir glücklich und in den letzten Abendstunden unseren für die Nacht auserkorenen Nationalpark.

Ernüchtert mussten wir jedoch fest stellen, dass Wildcampen nicht so einfach war wie gehofft. Die ausgewiesenen Parkplätze hatten alle einen Vermerk am Eingang: „Kein Übernacht-Campen“, über das wir uns auch nicht hinweg setzen wollten. Nach einer gefühlten Ewigkeit und mehreren Abstechern in kleine Buchten oder Wege, bei denen wir meist vor geschlossenen Schranken standen, fanden wir einen kleinen Waldweg mit einer großen Lichtung, die offensichtlich als Schotterlager genutzt wurde, für uns perfekt und nach einem aufregenden Tag schmeckte das erste Campingessen fantastisch – denn auch die Hürden eines Gaskochers müssen erst einmal überwunden werden.

Mit Vogelzwitschern und angelaufenen Scheiben wachten wir mit kalten Nasen auf. Wärmetechnisch müssen wir hier auf jeden Fall noch nachrüsten, aber nach ein paar Tagen Kleiderupdates und dem Nutzen der Symbiose der Kühlbox (das Essen bleibt kühl und nach außen heißt sie auf) schlafen wir seelig und wachen jetzt angenehm temperiert auf. Die Bodum-Kaffeebecher wurden dann morgens direkt getestet und nach einem ausgiebigen Frühstück ging es Richtung Edinburgh, unserem ersten Halt in Schottland. Wir waren überrascht, dass wir bereits mit unserem ersten Übernachtungsabstecher so einen guten Spürsinn bewiesen haben, denn unser Weg führte uns durch schmale Straßen und saftige Wiesen bevölkert mit kleinen weißen Wollknäulen, die von der Straße weg sausen, sobald sie uns hören. Hinzu kommt, dass offensichtlich gerade Zeit für die Jungschafe ist, denn an jedem Mutterschaf klebt ein kleines Lämmchen (oder mehrere) und so genießen wir die Autofahrt sehr. Wir kommen an kleinen Gehöften aus grauen Backsteinen vorbei, fahren über einspurige Steinbrücken und Straßen entlang, die von dichten Hecken in sattem Grün und Rot eingefasst sind. Die Schafe sind so entspannt unterwegs, dass auch mal ein Vogel auf dem Kopf landen darf und die Aussicht genießen kann. Wir sind seelig – mit so einer Idylle hätten wir gar nicht gerechnet. Auch die Einfahrt nach Edinburgh vollzieht sich entspannt und langsam gehen die kleinen Vorstadthäuser in prächtigere Steinbauten über, trotz dessen bleibt immer noch Raum für viele grüne Parkanlagen und wir sind sofort verliebt in die Stadt. Nachdem wir im Parkhaus des Nobelhotels am Platz unterkommen und uns für die Stadt schick gemacht haben, geht es mit Kind und Kegel los zur Burg. Da wir mit Leonard wenig Museen, Schlösser, Burgen etc. besichtigen wollen, verlegen wir uns auf das Schlendern der Royal Hill entlang. Was auf der Karte ewig lang aussieht, gespickt mit einer Sehenswürdigkeit an der anderen, stellt sich schnell als so überschaubar heraus, dass wir innerhalb eines Wimpernschlages bereits am Ende der Straße angekommen sind. Wir besuchen die Kathedrale vor dessen Eingang eine schottische Punkerin mit ihrem Spinnrad und einem Irokesenschnitt sitzt und mit lieblicher Stimme gälische Lieder singt. Als kleines Highlight wollte ich unbedingt den Harry-Potter-Trail mitgehen (eine Free-Walking-Tour, bei der sich alles um die Stätten dreht, in denen Joanne K. Rawling geschrieben oder sich hat inspirieren lassen und am Ende gibt man Trinkgeld, sollte einem die Tour gefallen haben). Beim Treffpunkt an einer kleinen Hundestatue mit blank betatschter goldener Nase teile ich meine Pizza mit einem Obdachlosen bevor uns eine kleine Zauberin abholt und stilecht im Umhang Zauberstäbe verteilt. Erste Station: der Greyfriars Friedhof, auf dem sich Rawling einige Charakternamen geborgt hat. Leider ist Leonard nicht mehr ganz so gut drauf und zu allem Überfluss fängt es an zu regnen, so dass wir uns nach Tom Riddels Grab von der Gruppe verabschieden, noch zwei Stück Kuchen im Elephant-Café eintüten lassen, in dem Harry Potter geschrieben wurde und dann allmählich zum Auto zurück laufen quer durch einen riesigen Park und eine Palästinenserdemo. Natürlich ist es doch schon später als geplant und wir haben noch keinen Plan, wo wir die Nacht schlafen sollen, soviel kann an der Stelle schon verraten werden – es folgt das nächste Abenteuer.

Wir fahren Richtung Loch Lomond und auch hier ist auf unseren Spürsinn Verlass und wir entscheiden uns direkt für die richtige Seite: das beschauliche und wenig befahrene Ostufer. Allerdings erwartet uns eine herbe Enttäuschung: Denn wie geplant die Parkplätze anzufahren, um an einem schönen zu schlafen, entpuppt sich als Odyssee. Wir verlieben uns in den ersten, den wir finden: direkt am Wasser, ein beschaulicher Strand, WC-Häuschen mit warmem Wasser, Tische mit Bänken unter einem Blätterdach – perfekt. Wir wähnen uns dem Traum eines Road-Trips nah: Einschlafen mit Blick aufs Wasser beim Sonnenuntergang: wäre da nicht wieder der klitzekleine Vermerk am Eingang: Kein Übernacht-Campen, das darf doch nicht wahr sein. Wir arbeiten uns die gesamte Küste entlang: überall das Gleiche, bis wir am letzten Parkplatz im Internet nachlesen und erfahren, dass die lockere Handhabung mit dem Wildcampen in dieser Gegend seit einem Jahr komplett verschärft wurde, als der Alkohol-Tourismus überhand genommen hat. Nachdem der Babyjoker auch nicht bei der Jugendherberge gezogen hat, bei der wir fragten, ob wir auf deren Parkplatz stehen könnten und Leonard immer unleidlicher wurde, kamen wir uns vor wie Maria und Joseph, gestrandet mit dem kleinen Christkind. Obdach bot uns dann, nach fast 2 Stunden Suche ein kleiner Waldweg auf dessen teilweise morastigen Zustand wir bereits am Abend aufmerksam wurden. Aber erst einmal schliefen wir umgeben von Nadelbäumen endlich den wohlverdienten Schlaf.
Da Stefan etwas panisch wurde ob der Legalität unseres Stellplatzes wollten wir direkt nach dem Aufwachen zurück zu dem schönen Parkplatz um dort zu frühstücken. Das Frühstück musste allerdings um zwei Stunden verschoben werden, denn plötzlich steckten wir im schönsten Schmodder fest und hingen in Schräglage auf dem Waldweg. Nichts ging mehr vor noch zurück, es war kalt, das Baby am Weinen und nach dilettantischen Versuchen mit Freilegen, Pappe drunter klemmen und Anschieben mussten wir es aufgeben, da wir die Schräglage des Autos nicht recht zu deuten wussten. Anruf beim ADAC, schließlich haben wir extra noch die Plus-Mitgliedschaft abgeschlossen: bei Selbstverschuldung keine Hilfe. Hmpf. Weiterleitung zum englischen Automobilclub: Wenn kein Mitglied und auch nicht gewillt eins zu werden, Öffnungszeiten ab halb 9, es war kurz nach 7. Und wieder zogen wir wie Maria und Joseph los und fanden Obdach bei Ali in einem Bed and Breakfast um die Ecke. Wir können die Gastfreundschaft der Schotten nur hervor heben, bisher wurde uns immer und überall geholfen oder gefragt, ob man uns helfen könne, wenn wir mal etwas ratlos am Straßenrand standen. Und so wurde Stefan an eine Farm um die Ecke verwiesen und ich durfte mich mit Leonard im Kaminzimmer aufwärmen mit bester Aussicht auf unseren treuen, nicht mehr fahrtauglichen Flitzer. Es dauerte nicht lang, da kam Stefan mit einer Dame in Reitstiefeln angebraust und nach einem kurzen Überprüfen der Sachlage stand unser roter Gefährte zwar lehmverkrustet aber wieder einsatzbereit auf der Straße. Jetzt ging es zu unserem malerischen Parkplatz und pünktlich mit dem fertigen Frühstück schwemmten Tagestouristen auf in unsere Idylle, die mit Kajaks raus fuhren, am Strand entlang schlenderten oder in Neoprenanzügen das Wasser durchpflügten – teilweise auch ohne, uns schüttelte es schon beim Zusehen, eingepackt in unsere Fleecejacken. Wir verbrachten einen entspannten Spieletag mit Leonard und von den Parkrangern erfuhren wir, dass wir doch auf einem der Parkplätze unterkommen können und obendrein noch gute Sightseeing-Tipps für Glasgow am nächsten Tag. Nachmittags unternahmen wir dann unsere erste kleine Wanderung auf den Conic Hill, von dem man einen Rundumblick auf Loch Lomond hat. Wir durchquerten dabei auch eine kleine Schafherde, die bei Leonards lautem Singen das Weite suchte (man könnte auch sagen: gut gebrüllt kleiner Löwe). Den Rückweg entlang begleitete uns ein Rotkehlchen und nachdem wir den dichten Wald verlassen und uns den kleinen Hafen angeschaut hatten, ließen wir den Abend im schönsten Sonnenschein bei einer Brotmahlzeit ausklingen.

Nach dem Frühstück ging es Richtung Glasgow. Als Kontrastprogramm zu Edinburgh empfingen uns statt kleiner Vorstadthäuser unter alten Bäumen große Hochhäuser und Viertel mit Reihen von Arbeiterhäusern. Unser Plan sah vor durch das West-End zu schlendern, wie es uns empfohlen wurde. Da Leonard noch schlief und wir uns wenigstens kurz das Zentrum anschauen wollten, fuhren wir eine kleine Runde durch die schluchtartigen Straßen gesäumt von alten, massiven Steinbauten und modernen Hochhäusern. Uns bot sich, wie bereits mehrfach gelesen, ein ganz anderes Stadtbild als in Edinburgh, mit seinen beschaulichen Gassen und seinem alten Charme. Aber das lebendige Straßenbild mit dem verwirrenden Mix aus Alt und Neu, den Graffitiwänden und dem Hauch der alten Arbeiterstadt mit wuchtigen Brücken über den River Clyde fanden wir es nicht weniger schön. Gerade das geschäftige Treiben war wesentlich authentischer als die Touriströme durch die Altstadt von Edinburgh. Dort musste man eher aufpassen nicht von einer Reisegruppe in die nächste zu stolpern. Was in beiden Städten jedoch gleich auffiel, war die hohe Anzahl an Obdachlosen oder Bettlern. Fast in jeder Straße, manchmal sogar jeder Ecke saßen sie und baten um etwas Geld.
Wir schlenderten, in West End angekommen, durch den Botanischen Garten mit seiner Pflanzenpracht und den verstreut auf den Rasenflächen liegenden Sonnenanbetern, durch die Straßen entlang der Buch- und Eisläden und fuhren abschließend einmal im Kreis mit Europas drittältester U-Bahn. Da wir der Meinung waren einen kleinen Einblick in die Stadt bekommen zu haben, nicht wieder spät abends auf Schlafplatzsuche sein wollten und noch ein gutes Stück Weg vor uns hatten, verließen wir Glasgow am frühen Nachmittag und stoppten noch bei Aldi um unsere Vorräte aufzufüllen. Hier erlebte Stefan draußen auf dem Parkplatz ein ganz besonderes Erlebnis mit Leonards Windelsichtung und als ich endlich mit meinen Einkäufen auftauchte, war auch Stefans Kampf mit tief verstauten Bodies und zu wenigen Feuchttüchern zu Ende.

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